Hieß sie wirklich Esther, die Großmutter des Vaters, die 1941 im besetzten Kiew allein in der Wohnung der geflohenen Familie zurückblieb? Die jiddischen Worte, die sie vertrauensvoll an die deutschen Soldaten auf der Straße richtete – wer hat sie gehört?
Und als die Soldaten die Babuschka erschossen, »mit nachlässiger Routine« – wer hat am Fenster gestanden und zugeschaut?
Die unabgeschlossene Familiengeschichte, die Katja Petrowskaja in kurzen Kapiteln erzählt, hätte ein tragischer Epochenroman werden können: der Student Judas Stern, ein Großonkel, verübte 1932 ein Attentat auf den deutschen Botschaftsrat in Moskau. Sterns Bruder, ein Revolutionär aus Odessa, gab sich den Untergrundnamen Petrowski.
Ein Urgroßvater gründete in Warschau ein Waisenhaus für taubstumme jüdische Kinder. Wenn aber schon der Name nicht mehr gewiß ist, was kann man dann überhaupt wissen?
Statt ihren gewaltigen Stoff episch auszubreiten, schreibt die Autorin von ihren Reisen zu den Schauplätzen, reflektiert über ein zersplittertes, traumatisiertes Jahrhundert und rückt Figuren ins Bild, deren Gesichter nicht mehr erkennbar sind. Ungläubigkeit, Skrupel und ein Sinn für Komik wirken in jedem Satz dieses eindringlichen Buches.
Hardcover, 285 pages
Published March 10th 2014 by Suhrkamp Verlag (first published 2014)
Original Title Vielleicht Esther
ISBN 3518424041 (ISBN13: 9783518424049)
Edition Language German
https://verlag.zeit.de/freunde/rueckblick/videos/autorinnengespraech_katja_petrowskaja/
- Samuel Moser, Auf der Schwelle von Mauthausen. Katja Petrowskajas Buch «Vielleicht Esther», nzz.ch, 5. April 2014
- Ulrich Gutmair, Katja Petrowskaja über Erinnerung. Ich hatte zwei Großmütter, taz.de, 29. März 2014
- Helmut Böttiger, Katja Petrowskaja. „Wir sind die letzten Europäer!“, zeit.de, 16. März 2014
- Sebastian Hammelehle, Familiengeschichte „Vielleicht Esther“: Nächster Halt Holocaust, spiegel.de, 11. März 2014
- Jens Mühling, Ukraine: Die Schriftstellerin Katja Petrowskaja. Lieber ganz fremd als halb, tagesspiegel.de, 8. März 2014, enthält nur eine knappe Zusammenfassung des Werks.
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